Sensible Trinkgefäße

Technische Gesichtspunkte dienten als Leitfaden bei der Entwicklung dieser Form. Die Kugelgestalt ermöglicht das Kippen des sich leerenden Gefäßes. Dabei ist der Becher so konstruiert, daß er sich mit weniger werdendem Inhalt zur breiten Seite des sichelförmigen Randes neigt. Die schmale Seite dient als Trinkkante.

Würdigung
von Peter Nickl – Handwerkskammer für München und Oberbayern

“Etwas geht zur Neige” sagt man und meint damit einen Abend, einen Vorrat, ein Glas Wein. Dieses “Zur-Neige-Gehen” ist Thema dieser silbernen Schalen. Ihre Schöpferin bezeichnet sie als “sensible Trinkgefäße”. Je mehr man aus dem Becher trinkt, um so mehr neigt er sich zu Seite. Wird er vollgefüllt, richtet er sich wieder auf. Dem Sinngehalt des Wortbildes “Zur-Neige-Gehen” entspricht auf ebenso einfache wie überzeugende Weise das Neigespiel des Bechers. Doch so einfach wie es funktioniert, war dessen technische Realisierung nicht. Eine Vielzahl minutiöser physikalischer Versuche gingen voraus. Es ist ein im Inneren des Gefäßes verborgener Punkt, der den gefüllten Becher im Gleichgewicht hält, beziehungsweise ihn in Bewegung geraten lässt. Bestechend ist seine Unsichtbarkeit, die Unaufdringlichkeit, mit der sich die Bewegung wie von selbst ausführt. Die Becher sind für eine Serienfertigung gedacht. Technische Verfahren für eine handwerkliche Kleinserie oder eine industrielle Großserie wurden überlegt und ausgearbeitet. Den Betrachter und Benutzer bestechen die Intelligenz und der Humor dieser Gefäße. Die Trinkschalen reden mit ihm. Der Grad, in dem der Becher sich neigt, kann Aufforderung, Augenzwinkern oder auch Mahnung sein. Das Silberschmiedehandwerk ist zu einem seltenen Handwerksberuf geworden. Die silberne Teekanne ist nicht mehr Statussymbol. Der zeitgenössische Silberschmied muss, will er seinen Beruf zu einer Existenzgrundlage ausbauen, in Gestaltung und Technik überraschende Lösungen finden.

Technische Daten
Silber
Ø 80 mm

Katja Höltermann

1998/1999